Neue Zugangsvoraussetzungen zum Europäischen Gerichtshof

Die Kriterien für die Eröffnung des Zugangs zu einem Höchstgericht liegen stets im Spannungsfeld zwischen Einzelfallgerechtigkeit und der Lösung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung. Die Verordnung (EU, Euratom) 2019/629 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Änderung des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union (ABl 2019, L 111, S 1) schränkt den Zugang zum EuGH in einer auch österreichischen Juristen nicht ganz unbekannten Weise seit 1. Mai 2019 ein.

Wie man Überlastungen bekämpfen kann

Gewährt der Gesetzgeber in allen Angelegenheiten die Befassung eines Höchstgerichts, so geht dies zwingend zu Lasten der raschen Verfahrenserledigung und zumindest im Falle von Entscheidungen verschiedener Senate/Kammern der Kohärenz auch der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Deshalb zeigt auch international seit Jahrzehnten der Trend in Richtung Zugangsbeschränkung. Auf diesen Zug ist die Europäische Union auch über Empfehlung der europäischen Gerichte aufgesprungen.

Oftmals musste nämlich der Europäische Gerichtshof Rechtsmittel faktisch als dritte unabhängige (Gerichts-)Instanz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet zurückweisen, nachdem sich schon eine unabhängige Beschwerdekammer und dann das (europäische) Gericht mit dem Fall beschäftigt hatten.

Ein ganz aktuelles Beispiel zu einem Verfahrensablauf: Eine britische Firma erwarb 2010 die Rechte für die Marke „Formula E“ und ließ diese unter anderem als Bezeichnung für Sportveranstaltungen beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (mit dem Sitz in Alicante, Spanien, EUIPO) europaweit schützen. 2016 beantragte die Fédération internationale de l’automobile (FIA) dort, die geschützte Marke wegen mehr als fünfjähriger Nichtbenutzung für verfallen zu erklären. Gegen die Entscheidung der Löschungsabteilung beim EUIPO legte die britische Firma Beschwerde bei der (unabhängigen) Beschwerdekammer beim EUIPO ein, gegen deren Entscheidung klagte sie beim Gericht der Europäischen Union, gegen dessen Entscheidung beim Europäischen Gerichtshof der Europäischen Union (dessen Urteil datiert vom 10. April 2019, C-282/18 P – The Green Effort / EUIPO).

Nach Art 58a des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Fassung der Verordnung (EU, Euratom) 2019/629 schiebt sich jetzt ein Zulassungsverfahren vor die Sachentscheidung, wenn, faktisch als erste Instanz, eine unabhängige Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum EUIPO), des Gemeinschaftlichen Sortenamtes (CPVO), der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) oder der Agentur der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA) mit dem Fall befasst war. Ämter und Agenturen sind allgemein gesprochen Einrichtungen der Europäischen Union, die die Europäische Kommission durch Übernahme von speziellen Teilen deren Aufgaben entlasten sollen.

Die beschränkte Zulässigkeitsbegründung

Die geänderte Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs (ABl 2019, L 111, S 73) fordert dazu als Anlage der Rechtsmittelschrift einen Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels, in dem der Rechtsmittelwerber „die für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage darlegt, die mit dem Rechtsmittel aufgeworfen wird, und der sämtliche Angaben enthalten muss, die erforderlich sind, um es dem Gerichtshof zu ermöglichen, über diesen Antrag zu entscheiden. Fehlt es an einem solchen Antrag, so erklärt der Vizepräsident das Rechtsmittel für unzulässig“ Art 170a der Verfahrensordnung).

Zur Vermeidung umfänglich ausufernder Zulassungsanträge darf der Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels sieben Seiten nicht überschreiten. Formelle Mängel können einmalig kurzfristig behoben werden.

Die Zulassungsentscheidung des Europäischen Gerichtshofs wird auf Vorschlag des Berichterstatters nach Anhörung des Generalanwalts durch eine speziell zu diesem Zweck eingerichtete Kammer getroffen, deren Präsident der Vizepräsident des Gerichtshofs ist und die darüber hinaus den Berichterstatter und den Präsidenten der Kammer mit drei Richtern umfasst, der der Berichterstatter zum Zeitpunkt der Antragstellung zugeteilt ist.

Aus dem Nordwesten nichts Neues

Ähnliche Regelungen kennt ua der österreichische Zivilprozess. War 1895 noch jeder Fall jenseits der Bagatellsachengrenze (50 Gulden, § 448 ZPO in der Stammfassung) revisibel, schränkte die Zivilverfahrensnovelle 1983 die Revision auf die Prüfung „erheblicher Rechtsfragen“ des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts ein, denen zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist (§ 502 Abs 1 ZPO).

Eine außerordentlichen Revision (§ 505 Abs. 4 ZPO) muss gesondert die Gründe enthalten, warum sie entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichts über die Unzulässigkeit der Revision für zulässig erachtet wird. Nur am Rande: Die Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland ist ähnlich (§§ 543f dZPO).

Analog aufgebaut ist das österreichische Revisionsverfahren an der Verwaltungsgerichtshof: Zuständig für die „Lösung einer Rechtsfrage …, der grundsätzliche Bedeutung“ zukommt (Art 133 Abs 4 B-VG), sind gem § 28 Abs 3 VwGG „im Falle der Nichtzulassung einer Revision durch das Verwaltungsgericht gesondert die Gründe …[darzutun], aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision)“.

Aus Straßburg/Luxemburg/Brüssel kommt daher verfahrensrechtlich nichts genuin Neues: Die juristische Leitfunktion ist heutzutage die vorrangige Aufgabe eines Höchstgerichts, die Einzelfallgerechtigkeit siedelt bei den vorgelagerten Instanzen.

15.5.2019

Dr. Karl Krückl, MA LL.M Verteidiger in Strafsachen, emeritierter Rechtsanwalt und Of Counsel der Bruckmüller RechtsanwaltsgmbH in Linz.