Lassing-Berufung: Ex-Betriebsleiter soll für Grubenunglück acht Monate in Haft
WIEN. Drei Jahre liegt der erste Prozess in Leoben bereits zurück. Bei der Berufungsverhandlung um das Grubenunglück von Lassing fiel das Urteil gestern teilweise härter aus: Der pensionierte Betriebsleiter soll ins Gefängnis.
Beim Einbruch der Talkgrube in Lassing waren am 17. Juli 1998 zehn Menschen ums Leben gekommen, nur der Bergmann Georg Hainzl war nach neun Tagen gerettet worden. Beim Prozess in Leoben waren der frühere Betriebsleiter Hermann Schmidt und der pensionierte Berghauptmann Wolfgang Wedrac wegen fahrlässiger Gemeingefährdung zu bedingten Freiheitsstrafen von 20 bzw. zehn Monaten bedingt sowie Geldstrafen verurteilt worden, für drei Konzeptsbeamte der Berghauptmanschaft hatte es Freisprüche gegeben. Vorausgegangen war ein monatelanger Gutachterstreit um die Ursachen des Einsturzes: Schicksalhaftes, nicht vorhersehbares geologisches Ereignis durch einen seitlichen Einbruch oder fahrlässiger Raubbau zu nahe an der Talsohle? Die genaue Einbruchstelle war nie gefunden worden. Richter Andreas Haidacher hatte eine jahrelange Serie von menschlichen Fehlern als Unglücksursache angenommen.
Der Berufungssenat beim Oberlandesgericht Wien setzte die Strafe für Ex-Betriebsleiter Schmidt auf zwei Jahre hinauf, davon acht Monate unbedingt. Berghauptmann Wedrac (verteidigt vom Linzer Anwalt Karl Krückl) kam mit einem halben Jahr bedingt glimpflicher davon als in der ersten Instanz: Die Verantwortung für die zehn Toten beim zweiten Einbruch wurde ihm nun nicht mehr angelastet. Weiters wurde noch einer der drei Beamten, der ursprünglich freigegangen war, diesmal für schuldig befunden und zu drei Monaten bedingt verurteilt. Es sind nur noch außerordentliche Rechtsmittel möglich. (hak)
OÖN Hauptausgabe vom 19.3.2003
Lassing: Interpretationen statt Ursachen
Zum Grubenunglück von Lassing gibt es, rund zwei Jahre danach, ein Urteil erster Instanz, das ist aber auch schon alles. Enttäuschend viele Fragen sind mit großem Aufwand ungeklärt geblieben.
Ein Arbeitsunfall mit zehn Toten – sowas passiert im Bergbau, man lebt mit dem Risiko. Besonders wenn -Êwie in Lassing -Êdie Produktivität gesteigert und das Letzte aus dem Boden herausgeholt werden soll. Weil auf politischer Ebene “Konsequenzen” gefragt waren, wurde die Bergbehörde aufgelöst und das Berggesetz in Mineralrohstoffgesetz umbenannt, damit nichts mehr an Berg erinnert. Die Kompetenzen teilen sich künftig das Wirtschaftsministerium und die Bezirkshauptmannschaften, die aber nicht über Bergbauexperten verfügen. Katastrophenpläne für Bergwerke gibt es hingegen noch immer nicht.
Der Justiz stellte sich die Aufgabe, die Unglücksursache zu erforschen und leibhaftige Schuldige zu suchen, weil ohne Schuldige doch nichts als geklärt gelten kann.
Gefunden wurden in erster Instanz der Werksleiter Hermann Schmidt und der Berghauptmann Wolfgang Wedrac, geklärt wurde nichts. Von den umstrittenen Gerichtsgutachtern aus dem deutschen Kohlebergbau und den wegen befürchteter Befangenheit nicht zugelassenen Montanisten aus Leoben existieren lediglich unterschiedlich plausible Theorien über ein mögliches Einsturz-Szenario – fahrlässiger Raubbau gegen Naturkatastrophe. Die Leobener Verfechter der geologischen Ursachen sorgten im Prozessverlauf – immerhin als Zeugen, aber um Himmels willen nicht als Sachverständige befragt – durchaus für Paukenschläge, in der zweiten Verhandlungswoche im Jänner wurde sogar schon die große Wende für die Beschuldigten vermutet.
Dem war aber nicht so: Nach 199 Bohrungen an der eingestürzten Grube, die nur gewisse Schlüsse zuließen, wurden die vorgeschlagenen restlichen sechs bis acht Bohrungen zur möglichen Lokalisierung der Einbruchsstelle vom Gericht nicht mehr zugelassen. Die Indizienkette aus Beobachtungen und Interpretationen genügte Richter Andreas Haidacher, der schon vor Prozessbeginn in einem Gespräch mit den OÖN den Fahrplan umrissen hatte: Es sei “nicht üblich”, Privatgutachten in Verfahren einzubeziehen. Immer noch werden von der Verteidigung beschaffte Expertisen im Gerichtsalltag als Gefälligkeitsgutachten beargwöhnt.
Und so war am letzten Prozesstag alles wie am ersten – wie der Strafantrag, so das Urteil: Zu hoch hinaufgetriebener, illegaler Talkabbau als angenommene Unglücksursache und Fehleinschätzungen bei den Rettungsarbeiten bleiben am Werksleiter hängen. Dem Berghauptmann wird zur Last gelegt, dass er sich auf die Angaben des Werksleiters verlassen hat, er hätte auf genaues Kartenwerk bestehen müssen. Bedingte Freiheitsstrafen von zwanzig bzw. zehn Monaten, Geldstrafen, Schluss der Verhandlung.
Unbehagen bleibt zurück, sagt der Linzer Anwalt Karl Krückl, nicht nur weil er der Verteidiger des verurteilten ehemaligen Berghauptmanns ist: Wozu der ganze Aufwand, wenn man letztlich doch nichts Genaues wissen will? Warum kam es auf ein paar Bohrungen mehr an, die ohnehin die Mineralwerke Naintsch bezahlt hätten? Der Fall geht in die Berufung zum Oberlandesgericht Graz.
Rundherum ist viel Geld im Spiel: Der Verlust für die Naintscher Mineralwerke bzw. den Mutterkonzern Talc de Luzenac-Rio Tinto beträgt geschätzte eineinhalb bis zwei Milliarden Schilling. Die Entschädigungen für die Betroffenen wurden weitgehend von der für Bergwerke vorgeschriebenen Versicherung (Gefährdungshaftung) bezahlt – dazu war die Suche nach Schuldigen also nicht notwendig. Dennoch hat die Firma ein zwiespältig-distanziertes Verhältnis zum einst hoch geschätzten Lassinger Werksleiter: Einerseits nimmt man ihn in Schutz – schließlich wäre die Variante “Naturkatastrophe” auch im eigenen Interesse, andererseits drohen ihm Regressforderungen in zumindest symbolischer Millionenhöhe für den Fall, dass die Verurteilung rechtskräftig würde.
Verwüstungen hat in Lassing nicht nur der Einsturz der Grube angerichtet, sondern auch die Verteilung eben der Entschädigungen und Spenden an Hinterbliebene der toten Bergleute und die Besitzer zerstörter und beschädigter Häuser. Vorläufige 90 Millionen wurden allein vor Prozessbeginn im Jänner an Versicherungssummen ausbezahlt. Neid und Missgunst haben in dem steirischen Ort keinen Stein auf dem anderen gelassen.
VON MARTHA HAKAMI
OÖN Hauptausgabe vom 30.06.2000 – Seite 005
Zwei Schuldsprüche im Lassing-Prozeß
Der Strafprozeß um das Grubenunglück von Lassing ging zu Ende: zwei Schuldsprüche, drei Freisprüche. LEOBEN. Mit zwei Schuld- und drei Freisprüchen endete am Mittwoch am Straflandesgericht Leoben der Strafprozeß um das Grubenunglück von Lassing. Drei Beamte der Bergbehörde wurden freigesprochen. Der frühere Betriebsleiter des Bergwerks Lassing, Hermann Schmidt, wurde am Mittwoch wegen fahrlässiger Gemeingefährdung zu 20 Monaten bedingter Haft und 120.000 Schilling Geldstrafe (240 Tagsätze) verurteilt. Ebenfalls als schuldig sieht Richter Andreas Haidacher den früheren Leiter der Berghauptmannschaft Leoben, Wolfgang Wedrac, an. Er erhielt zehn Monate bedingte Freiheitsstrafe und 108.000 Schilling Geldstrafe (120 Tagsätze). Ihre Anwälte meldeten Berufung an.
In der Urteilsbegründung folgte der Richter dem Hauptgutachten, wonach sich am Unglückstag zunächst ein Propfen im Bergbau gebildet habe, welcher später durch steigenden Wasserdruck plötzlich eingebrochen sei. “Es ist dies eine geschlossene Indizienkette”, meinte der Richter im Hinblick auf Zweifel an dieser These.
Attacken auf Richter
Über weite Strecken standen am letzten Verhandlungstag nicht die fünf Angeklagten, sondern Richter Haidacher und die gerichtlichen Gutachter am Pranger. Das Verfahren sei von “unerträglichen Defiziten” geprägt, meinte der Anwalt der Naintsch-Mineralwerke, Gabriel Lansky. Nach 199 Bohrungen wisse man noch immer nicht, wie das Grubenunglück wirklich abgelaufen sei. Das Gericht habe es verabsäumt, Privatgutachter der Verteidigung zuzulassen. Stattdessen habe man den amtlichen Sachverständigen Friedrich Hollmann und Horst Meissner geglaubt – laut Lansky “minderqualifizierte Herren, die sich in unerträglicher Weise die Richterrolle anmaßten und alle anderen für Trotteln halten”.
Unbeeindruckt von diesen Vorwürfen ließ Staatsanwalt Reinhard Kloibhofer in seinem Schlußplädoyer noch einmal nüchtern und klar das Grubenunglück vom 17. Juli 1998 Revue passieren: Bei zwei Einbrüchen starben zehn Menschen, ein weiterer – Georg Hainzl – wurde verletzt. In der Folge wurden 19 Wohnobjekte zerstört, Straßen und Betriebsgelände wurden schwer beschädigt. Lansky bezifferte den Gesamtschaden mit rund 1,5 Milliarden Schilling – den Verlust der Grube nicht mitgerechnet.
Für den Staatsanwalt trägt Lassing-Werksleiter Hermann Schmidt die Hauptschuld am Unglück: Er hätte für einen ausreichenden Sicherheitsabstand zur Oberfläche sorgen müssen und habe als Betriebsleiter “nicht fachgerecht” agiert. Schmidts “fahrlässige Unkenntnis” sei aber insofern “nicht verwunderlich”, als ordentlich geführte Grubenkarten fehlten. Auch den fatalen Rettungseinsatz, bei dem die zehn Helfer starben, lastet Kloibhofer dem Betriebsleiter an: “Er war der einzige anwesende, akademisch gebildete Bergbauingenieur, der über das für die Gefährlichkeitsprognose notwendige Wissen verfügte.”
Die vier mitangeklagten Beamten der Berghauptmannschaft Leoben seien ebenfalls verantwortlich, sagt der Staatsanwalt: “Die Kontrolle hat versagt.”
“Unverzeihliche Fehler”
Anwalt Lansky bemühte sich, die Vorwürfe gegen Schmidt zu entkräften: Dieser habe zwar unverzeihliche Fehler gemacht – er ließ zu, daß zu nahe an der Oberfläche abgebaut wurde -, die Kausalität zwischen Schmidts Fehlverhalten und dem Unglück sei aber nicht hinreichend bewiesen.
Verteidiger Joachim Leupold nannte das Gerichtsgutachten voll von “unaufgeklärten Unsicherheiten”. Den Gutachtern wirft er “Mängel im Verständnis physikalischer Abläufe” sowie die Verwendung völlig falscher Berechnungsformeln vor.
In der Sache selbst bestritt die Verteidigung, daß das Grubenunglück im Juli 1998 durch den Einbruch des Felsdaches über der obersten Abbauscheibe erfolgt sei. Ursache sei vielmehr die seitlich neben dem Bergbau gelegene geologische Störzone namens “Paltenstörung” – eine laut Leupold “nicht vorhersehbare Gefahr”.
Den Vorwurf, daß Schmidt nach dem ersten Einbruch die Grube Lassing nicht sofort räumen und sperren ließ, läßt der Verteidiger nicht gelten: Keiner der anwesenden Fachleute habe diese Gefahr gesehen. Karl KRüCKL, Verteidiger von Berghauptmann Wolfgang Wedrac, nuancierte etwas anders: Die oberste Abbauscheibe in Lassing sei ein “reiner Schwarzabbau” gewesen, von dem die Behörde nichts gewußt habe. Denn “es ist sehr leicht, illegalen Abbau vor der Behörde geheimzuhalten.”
Von unserem Korrespondenten ERNST SITTINGER
Presse 29.6.2000
Zwei bemerkenswerte Aussagen zur Berichterstattung über den Lassing-Prozess, die nicht vorenthalten werden sollten (Orf ON 29.1.2000):
Herummauler
Peter Stichler, vor 3h 49min
Der Bürgermeister Zeiser hat schon vom ersten Tag an nichts anderes getan und beigetragen als ständig auf die Bergwerksleitung und die Einsatzteams geschimpft und sich bei den Fernsehleuten wichtig gemacht. Einer dieser Typen die es “immer schon gewußt” haben und trotzdem den Bau des versunkenen Hauses genehmigt haben. Offenbar ein gehässiger Neid eines grobschlächtigen Bauern auf die – verhältnismässig sogar sehr – gut verdienenden jungen Arbeiter im Bergwerk.
Anderer Prozess? Mag. Karl Feitl, vor 16h 25min
Liest man den heutigen Kurier und die Kleine Zeitung könnte man vermuten die Damen berichten von einer anderen Veranstaltung als der im Leobner Gerichtssaal. Da wollen offenkundig zwei Damen ihre emotionalen (Vor-)Urteile vom Juli 1998 mit aller Macht bestätigt haben. Samt den Wünschelrutengehern und Kartenaufschlägern, die das TV-Publikum unterhalten haben.
Wenn eine eineinhalb Jahre nach der Tragödie noch immer die primitivsten Fakten um einen Bergbau im Allgemeinen und betriebliche Abläufe und den Wissensstand vom 17. Juli 1998, Nachmittag, im Besonderen nur hartnäckig genug ignoriert – müssen Beamte aus dem “fernen Wien” (oder Leoben) Schuld sein. Weil das “die Betroffenen” vor Ort so gesehen und dauernd im Fernsehen erzählt haben. Die schlichte Frage, warum diese dumben Beamten – jeder davon hat Dutzende von Bergbaubetriebe nicht nur befahren, sondern während seines Studiums und nachher oft Jahre selbst im Bergbau gearbeitet – bis wenige Minuten vor dem zweiten Einbruch in die Grube eingefahren sind, wird erst gar nicht gestellt.Weil dann offenkundig die Vorverurteilungen zusammen krachen wie die Grube in Lassing.
Lassing: Die Gerichtsgutachter ließen 1,4 Kilometer Bohrkerne unbeachtet
LEOBEN. Immer deutlicher zeichnen sich beim Prozess um das Grubenunglück in Lassing die Schwächen des Gerichtsgutachtens ab, auf dem die Anklage gegen den früheren Werksleiter und vier Beamte der Bergbehörde basiert.
Wie berichtet, haben 199 Bohrungen keinen Anhaltspunkt für die Theorie der deutschen Gutachter Friedrich Hollmann und Horst Meißner ergeben, wonach durch hemmungslosen Talkabbau die Felsschwebe über der Grube eingebrochen sei.
Die gewonnenen Bohrkerne ergeben aneinandergereiht 1,4 Kilometer Länge. Johann Zepic, Nachfolger von Werksleiter Hermann Schmidt (und nur noch mit Sicherungsarbeiten rund um die geschlossene Grube beauftragt), sagte dazu auf gezielte Fragen der Verteidiger Karl Krückl und Heimo Jilek: Hollmann und Meißner hätten sich nur “ein bis zwei Stunden” mit den aufschlussreichen Bohrkernen befasst. Andere Experten dagegen, die Unabwägbarkeiten der Geologie rund um das Bergwerk als Auslöser ansehen, wären rund 1000 Stunden mit diesen Beweisstücken beschäftigt gewesen.
Wie weit der zum Zeitpunkt des Unglücks im Juli 1998 noch nicht genehmigte Abbau auf der hoch gelegenen Sohle 1A sich dann auf Folgen und Ausmaß des Unglücks ausgewirkt hat, unabhängig von der Ursache, ist ebenfalls Thema des Prozesses:
So erklärten etwa gestern die Zeugen Leopold Weber und Herbert Fagerer von der inzwischen aufgelösten Obersten Bergbehörde im Wirtschaftsministerium: Hätten sie vom Abbau auf Scheibe 1A gewusst, hätten sie nach dem ersten Einbruch keine weiteren Leute in die Grube gelassen. Zur Frage, wer in der ersten Rettungsphase die Einsatzleitung innehatte, gaben die beiden Beamten nur ausweichende Antworten -Êgegen Weber war in diesem Zusammenhang ermittelt worden.
Katastrophenpläne für Bergwerke gibt es heute, eineinhalb Jahre nach Lassing, noch immer nicht, wie Weber auf Fragen von Richter Haidacher einräumte
VON MARTHA HAKAMI
OÖN Hauptausgabe vom 28.01.2000 – Seite 020
“Jetz’ is’s zum Dersaufen”
Überraschung im Prozess um das Grubenunglück von Lassing: Doch eine Naturkatastrophe und nicht menschliches Versagen? …Angeklagt hat der Staatsanwalt nun fünf Männer wegen “fahrlässiger Gemeingefährdung”: den Betriebsleiter der heute geschlossenen Naintscher Mineralwerke, die den Talkabbau unterhielten, Hermann Schmidt; den damaligen Leiter der Berghauptmannschaft Leoben Wolfgang Wedrac sowie drei Sachbearbeiter der Behörde. Der Straftatbestand kann bis zu fünf Jahren Haft bedeuten.
Den Prozess leitet und das Urteil wird finden und verkünden müssen der Richter Andreas Haidacher. Es ist keine Kritik, wenn man anmerkt, dass in Deutschland in solche einem Fall die Strafandrohung wohl höher und drei Berufsrichter und zwei Schöffen zu entscheiden hätten. Die Organisation dessen, was hier zu Lande “Strafrechtspflege” genannt wird, hat in jedem Land der Welt eine eigene Vorgeschichte, die in die gegenwärtige Gerichtsverfassung mündet. Deshalb verdient der Richter Haidacher Mitgefühl: Er hat ganz allein zu entscheiden in einer Strafsache, in der es um den Tod von zehn Menschen geht.
Wie immer, wenn die Natur wieder einmal ihre Unbesiegbarkeit gezeigt hat, geht es um die Frage, ob dies nun menschliches Versagen war – oder ein Unglück, das auf höhere Gewalt zurückzuführen ist. Wäre Lassing vermeidbar gewesen?
Auch die Bundesrepublik ist an dem Prozess in der Steiermark beteiligt. Denn Sachverständige des Gerichts sind Dr. Ing. Friedrich Hollmann, 70, aus Bochum, und neben ihm der Bauingenieur Horst Meißner, 73, aus Düsseldorf. Sie erleben, wovon manche Sachverständige in der Bundesrepublik, besonders die Psychowissenschaftler, träumen: Hollmann und Meißler sitzen direkt neben dem Richter, auf gleicher Höhe, auf gleichen Stühlen, am selben Tisch. Manchmal steht Hollmann auf und wirft einen Blick auf das, was die Protokollführerin mitschreibt.
Hollmann ist buchstäblich der Sachverständige des Richters, denn andere Sachverständige sind nicht zugelassen. Sein Ergebnis: Der Raubbau in der Scheibe (Stollen) 1 A hat das Gestein zwischen Grundwasser und Grube derart brüchig gemacht, dass es zusammenkrachen musste.
Die Verteidigung hat eine Reihe von Gegengutachtern gegen diese Hypothese aufgeboten, zum Teil Fachleute, die sich, anders als Hollmann und Meißner, mit den Gegebenheiten vor Ort und den Eigenheiten des Talkabbaus auskennen. Sie dürfen nicht gehört werden und seien sie noch so sachverständig. Inoffiziell heißt es, man habe keine “Verhaberung” gewollt, keine Freundlerwirtschaft, da alle Beteiligten in Leoben an der Montan-Universität studiert und sich gekannt hätten. Hollmann lehrt zwar auch in Leoben, als Honorarprofessor, aber immerhin, er ist Deutscher.
Gegengutachter dürfen allenfalls etwas sagen, wenn sie als Zeugen zu Wort kommen. Denn der in dieser Hinsicht wirklich antiquierte österreichische Strafprozess kennt den sachverständigen Zeugen nicht. Es muss sich schon zwingend ein Anlass ergeben, dass man einen Zeugen hört.
Ein solcher Anlass ergibt sich am vergangenen Dienstag, dem sechsten Verhandlungstag. Als Zeuge tritt auf Johann Golser, Professor für konstruktiven Tiefbau an der Montan-Universität. Er hat die 199 Bohrungen nach dem Unglück ausgewertet, die zur Klärung der Ursache dienen sollten. Doch bis heute weiß man nicht, an welcher Stelle die felsige Sicherheitsschicht zwischen der Grundmoräne und der Grube gebrochen ist. Man weiß nicht einmal, ob sie überhaupt gebrochen ist.
Hollmann und Meißner sagen, Wasser und Schlamm seien von oben gekommen. Was Golser aber aus einzelnen Bohrungen abliest, könnte dieses Denkgebäude einstürzen lassen wie eine tatsächliche brüchige Felsschicht: “In den Bohrungen gibt es einen Bereich, in dem Verbruchmaterial auftaucht, scharfkantiges, dunkles Material, das nichts mit dem Quartärmaterial aus der Grundmoräne zu tun hat. Es gibt eine senkrechte Felskluft von etwa zwei Meter Breite, in der solches Lockermaterial gefunden wurde. Mit Sicherheit ist der Fels nicht an jener Stelle durchgebrochen, die Hollmann und Meißner angeben.”
Möglicherweise wurde diese Felskluft – es hatte vor dem Unglück tagelang geregnet – ausgespült. Möglicherweise rutschte quartäres Material von oben nach. Die Stollen können eingebrochen sein durch Druck von schräg oben, von der Seite, an der Ortsbrust. “Aha”, sagt der Richter, “das ist ja interessant.”
Es werde nun wohl notwendig sein, “dass die Sachverständigen ihr Gutachten ergänzen”, fährt er fort. Der Zeuge Golser hält weitere Bohrungen für nötig und eine Computertomografie des Werkes. Es kann bis Mitte des Jahres dauern.
…Sollte Hollmann sein Gutachten korrigieren oder gar neu fassen müssen – zumindest im Augenblick hat die Frage, ob Mängel bei der Kontrollbehörde oder der Werksleitung zu dem Unglück geführt haben, kaum Sinn. Man tappt mehr denn je im Dunkeln.
Die österreichische Presse berichtet sorgfältig über den Prozess. Es wird zu Recht diskutiert, warum die Anklage zwei Spitzenbeamte des Wirtschaftsministeriums, die zuständig waren, ausgelassen hat. Es ist gute Übung, nicht nur in Österreich, dass man sich “oben” mit Vorschriften absichert. Es ist immer die Basis, die versagt…
Von Gisela Friedrichsen
Der Spiegel 4/24.1.2000
- o. zur Jause
Lassing-Prozess. Schwere Zeiten für Ankläger und Gutachter: Bohrungen belegen die Unfall-Version. Er ließ sich viel Zeit mit dem K. o., und kaum einer im Saal sah es kommen. Der Gegner hatte schon am Vormittag einstecken müssen; Professor Johann Golser hob sich den Schlag für das Ende seiner stundenlangen Aussage zur Jausenzeit auf. Und er nutzte dazu eine jener Strohhalm-Fragen, wie sie Anwälte immer stellen, wenn die wesentlichen Themen nichts gebracht haben: Ob es nicht doch noch irgend etwas Neues, noch so Nebensächliches in seinen Bohrungen gäbe?
Der Geologe hatte vom Staatsanwalt und der Lassing-Mutterfirma Naintsch den Auftrag bekommen, die abgesoffene Grube zu durchbohren wie einen Pudding mit Strohhalmen: Die dabei entstehenden “Bohrkerne” zeigen, welches Material wo liegt – und von wo Schlamm und Wasser in den Röhrenbau eingebrochen sind.
Dies ist die Kernfrage des Leobner Prozesses um den Tod der zehn Bergleute, die im Sommer 1998 in der einbrechenden Talkgrube Lassing verschüttet worden waren. Der deutsche Gerichtsgutachter Friedrich Hollmann hat das bisher glasklar beantwortet: Zu hoch heraufgegraben, also brach drüber der Felsen – klarer Fall von Fahrlässigkeit, eine vorhersehbare Katastrophe. Andere, von der Verteidigung vorgelegte Erklärungen und Gutachten wurden bis vergangenen Dienstag nicht beachtet.
Aber der Sachverstand des Experten Hollmann war da immerhin schon mehrfach auf den von Fachleuten getroffen, die, anders als der deutsche Kohlenfachmann, die schlüpfrige Talkburg Lassing in- und auswendig kennen. Und die relativierten Hollmanns Vorwürfe, in der Grube sei geschludert worden, doch in ganz wesentlichen Bereichen. Daher war die Stimmung im Saal aufgeladen vom stundenlangen Kampf der Anwälte gegen Richter Andreas Haidacher, der “ihre” Fachleute nicht als Experten (um ihre Meinung) befragen wollte, sondern als Zeugen (bloß um ihre Wahrnehmungen).
Satte Krokodile.
…Ob es nicht doch noch irgend etwas Neues, noch so Nebensächliches in seinen Bohrungen gebe, fragte also einer der Anwälte.
“Ja, Doch. Ich habe mir unser Material vor kurzem wieder angeschaut. Und ich habe fast nicht glauben können, was ich gesehen habe.”
Richter Haidacher: “Und? Was haben Sie gesehen?”…
“Wo nur Fels, Geröll und Talk sein durfte, wenn die Grube tatsächlich von oben her durchgebrochen ist – genau dort haben wir ein ganz neues Material gefunden, ganz unterschiedlich zum Quartär-Material von oberhalb der Grube, das bei den fast zweihundert Bohrungen gefunden worden ist. Scharfzackig, schiefrig dunkel, wie es nur in der Störung (Anm.: eine Art Bruch im Gelände) neben der Grube vorkommt.”
“Und was heißt das?”
“Dass es offensichtlich eine Kluft gegeben hat direkt neben jenem Stollen der Grube, der bis zu dieser Störung hin gegraben worden ist. Unsere Hypothese ist, dass der Einbruch dort erfolgt ist.”
…Golser: “…Eine Hypothese ist es, aber durch eine Bohrung konkret belegt – und durch wahrscheinlich sechs bis acht weitere Bohrungen zu beweisen.”
Richter:”Also, das war sehr interessant…”
Golser:”Es würde bedeuten, dass nicht das Felsdach durchgebrochen ist, sondern eine kantige Spalte im schwarzen Felsen neben der Grube.”
Im gut besetzten Saal ist es still wie vielleicht vor fünfzig Jahren, als hier noch das Kirchenschiff des Leobner Frauenklosters war. Wo einmal der Altar war, sitzt heute das Gericht und hält die Köpfe schief. Die Anwälte lächeln wie frisch gefütterte Krokodile.
Am Tag zuvor hatte der Gerichtsgutachter noch gesagt, er kenne alles zum Thema, insbesondere die so genannten Gegengutachten; er brauche trotzdem an seinem – im April geschriebenen – Gutachten nichts zu ändern. Heute bestätigt Golsers unabhängige Expertise das umfangreichste dieser Gegengutachten: Nicht mechanischer Druck von oben brach den abdeckenden Felsen, sondern chemische Erosion öffnete einen wahrscheinlich zwei Meter breiten Spalt in jener schieferschwarzen “Störung”, an der die Grubenstollen seit Jahren immer wieder anstoßen.
Schwarz und weiß. Golsers Fund erklärt, was Hollmanns Befund nicht beachtet: die vor dem Unglück schwarz von den Stollendecken tropfenden “Flatschen” und das schwarze Gesicht des Georg Hainzl. Der wurde gerettet aus einer Grube, in der Schwarzes einfach nicht vorkommen darf, weil – zum Beispiel – schon ein Kilo Schwarzschiefer zehn Tonnen weißen Talk unbrauchbar machen würde.
Georg Hainzl, vom Publikum abgeschirmt wie ein Mafia-Zeuge, berichtete am vergangenen Donnerstag nicht über seine zehn Tage Gefangenschaft, dafür viel über die Art des Einbruches. Was er gesehen hat; er bestätigt die späteren Befunde.
Ihre Autoren sind nicht irgendwelche: Professor Hans Kolb hat 25 Jahre Praxis im Talkabbau, Professor Walter Prochaska hat sich mit diesem Thema an der Montan-Uni Leoben habilitiert, und Werner Steck ist internationaler Experte für Tunnelbau. Nun sind Kolb und Prochaska wenigstens vom Gericht als eine Art sachverständiger Zeugen geladen worden. Und Professor h. c. Hollmann wird sein Gutachten an die Fakten “adaptieren”.
Kolb/Prochaska/Steck haben Hollmanns Gutachten mit der Höflichkeit von Berufskollegen Punkt für Punkt als sehr, sehr verbesserungswürdig aufbeblattelt. Wie kann es dann sein, dass sich ein Gutachter von solchem Zuschnitt den neben ihm sitzenden Richter “hält wie einen Rechts-Bimbo”, wie es eine Kollegin vom “Spiegel” politisch nicht ganz korrekt formulierte:”Der Richter ist dem Mann doch auf Gedeih und Verderb ausgeliefert; wenn der pfuscht, darf man das in Österreich nicht einmal durch einen Gegengutachter belegen?”…
von Paul Yvon
profil 4 24. 1. 2000
Neuerliche Bohrungen notwendig
Nach der überraschenden Wende im Lassing-Prozess, wonach jüngste Bohrungen eine neue Theorie für die Unglücksursache liefern, wird das Verfahren vermutlich für ein halbes Jahr unterbrochen.
Unglück nicht vorhersehbar ?
Die ursprünglich angenommene Ursache, ein Bruch im Felsdach, kann nach den gestrigen Aussagen des Montanistikexperten Professor Johann Golser nicht mehr aufrecht erhalten werden.
Demnach waren die Schlamm- und Wassereinbrüche nicht vorhersehbar. Die Ursache für das Unglück könnte eine Kluft im Felsen über dem Bergwerk, angefüllt mit dunkelfarbigem Schotter, gewesen sein. Durch zunehmenden Wasserdruck erfolgte der Einbruch ins Bergwerk, nachdem man immer näher zu diesem unbekannten Felsspalt Talk abgebaut hatte. Auch das Material in der Grube ist mit dem in der Binge nicht ident.
Wie geht es weiter ?
Bis zum 28. Jänner, dem Tag der letzten Zeugeneinvernahmen, wird das Verfahren wie geplant weitergehen. Dann aber dürfte der Prozess mindestens ein halbes Jahr lang unterbrochen werden.
Professor Golser, dessen gestrige Aussagen auf rund 200 durchgeführten Bohrungen nach dem Unglück basieren, hält acht weitere Bohrungen für notwendig, will man der Unglücksursache wirklich auf den Grund gehen.
Diese könnten wetterbedingt erst im Frühsommer durchgeführt werden, auch rät Golser zu einer Computertomografie des Bergwerks.
Heute gibt es im Lassing-Prozess eine Pause. Morgen wird Georg Heinzl, der Kronzeuge, aussagen.
ORF ON Steiermark 19. 01. 2000
Talkgrube Lassing bis zuletzt als Musterbetrieb vorgeführt
LEOBEN. “Wer sich nur an Zahlen hält, kann nie einen ordentlichen Bergbau führen. Zahlen sind auch nicht ausreichend verlässlich. In Lassing war kein unbeherrschbares Sicherheitsrisiko zu erkennen,” lässt sich der ehemalige Berghauptmann Wolfgang Wedrac (63) im Grubenunglücksprozess nicht auf seine eigenen Bescheide festnageln.
Anders als der impulsive, gestikulierende, rhetorisch oft unsichere Ex-Betriebsleiter Hermann Schmidt, dem der Bergbau schon rein optisch auf den Leib geschneidert scheint, ist der zierliche, vornehme Spitzenbeamte der Leobener Bergbaubehörde von den Juristen nicht aufs Glatteis zu führen. Jurist ist er nebenbei selber auch. Er ist präzise, jede Antwort sitzt. Nie sagt er: “Ich weiß es nicht.” Stattdessen: “Da müßte ich spekulieren,” oder er verweist auf seinen Amtsvorgänger.
Als Bergbaufachmann war er Schmidt’s Studienkollege an der Leobener Montan-Uni, wie zwangsläufig alle Altersgenossen dieser Fachrichtung in ganz Österreich einander kennen. Die nötigen Überprüfungen in Lassing seien natürlich durchgeführt, manchmal auch Mängel gerügt worden – etwa beim etwas hemdsärmelig gehandhabten Kartenwerk. Für den Alltag in der Grube war’s exakt genug, hat Betriebsleiter Hermann Schmidt dazu gesagt. Man hatte eben keinen eigenen studierten “Markscheider”, der allein für Vermessung und Kartographie zuständig gewesen wäre. Das hat alles der Obersteiger erledigt, der am 17. Juli mit den anderen Neun ums Leben gekommen ist.
Warum die “alte bergmännische Regel”, nur von oben nach unten abzubauen, nicht eingehalten worden sei?, bohrt der deutsche KohlenbergbauSpezialist Friedrich Hollmann.
Dass “von oben nach unten” eine unumstößliche Regel sei, könnte er nicht bestätigen, kontert Wedrac. Im Bergbau richte man sich nach den Gegebenheiten der Natur, nach Lagerstätten-Bedingungen, Organisations- und Qualitätsfragen. Da müsste Spielraum sein für Abweichungen von Bescheiden und Vorschriften.
“Beim Bergbau basiert fast alles auf der Beobachtung des Gebirges,” hat Hermann Schmidt zwei Tage zuvor gesagt.
Unvorhersehbarer Einbruch
Zur Gretchenfrage des zuletzt angeblich dramatisch ausgedünnten Abstandes zur Felslinie, den der Staatsanwalt als Unglücksursache annimmt: Er sei davon ausgegangen, so Wedrac, dass immer eine ausreichende Sicherheitsschwebe vorhanden war, da müsse man ja auch die über dem Fels liegende mächtige Grundmoräne dazurechnen. Und im übrigen – auf die gezielten Fragen seiner Anwälte Kirchleitner und Krückl: Mit Wassereinbrüchen sei viel eher in Salzbergwerken zu rechnen als im Talkabbau, und der massive Schlammeinbruch sei völlig unvorhersehbar gewesen.
Die Grube Lassing war zwei Tage vor ihrem Untergang vom höchsten Sicherheitsbeamten des Ministeriums einer slowakischen Delegation als Musterbetrieb ans Herz gelegt worden.
VON MARTHA HAKAMI
OÖN 14.1.2000
Lassing-Prozess mit bloßen Annahmen: Einbruchsstelle wurde nie gefunden
LEOBEN. Fotografengedränge wie sonst nur bei prominenten Mordprozessen. Aber am Landesgericht Leoben geht es um einen Arbeitsunfall vor einem Einzelrichter, das Grubenunglück von Lassing mit zehn Toten vom 17. Juli 1998.
Die Verwerfungen und Verschiebungen der Erdkruste scheinen auch beim Prozess im Kräftemessen von Anklage und Verteidigung weiter zu wirken: Alles ist in Bewegung. “Nach Schuldigen suchen kann man immer, aber ob man jemanden findet?” bringt ein pensionierter Bergingenieur, der als einfacher Zuhörer gekommen ist, die grundsätzliche Prozessfrage auf den Punkt. Er hat früher für eine Schachtbaufirma arbeiten im Talkwerk Lassing durchgeführt: “Solche Einbrüche sind praktisch nicht vorhersehbar.”
Schon im Vorfeld des Prozesses schwer unter Beschuss sind die Gerichtssachverständigen Hollmann und Meissner, die zur rechten von Richter Andreas Haidacher sitzen und auf deren Gutachten der Strafantrag fußt.
Wo Staatsanwalt Reinhard Kloibhofer Verantwortlichkeit und Fahrlässigkeit festmachen will, da ist nichts, sagen die Verteidiger des ehemaligen Betriebsleiters Hermann Schmidt (60), des früheren Berghauptmanns Wolfgang Wedrac (63) und seiner Konzeptbeamten Josef Jachs (62), Alfred Zechling (43) und Hans Dieter Faißner (42). Weder der erste Einbruch von Schlamm und Wasser vom Vormittag des 17. Juli, bei dem der Bergmann Georg Hainzl eingeschlossen wurde, noch der zweite am Abend, bei dem zehn Helfer ums Leben kamen, sei vorhersehbar gewesen.
“Fehlleistungen über mehrere Jahre hinweg” verteidigt der Staatsanwalt die Anklage zum “sogenannten Grubenunglück”. Der Talkabbau sei schon seit 1993 zu dicht unterhalb der sogenannten Sicherheitsschwebe erfolgt – jener Felslinie, die das Grubengebäude nach oben hin begrenzt. Zuletzt sei dort sogar schwarz abgebaut worden.
Aber gerade dort sei ja gar nichts passiert, kontert die Verteidigung, gestützt auf mehrere Gutachten von namhaften Bergbauexperten und auf spätere Bohrungsergebnisse: Die Einbruchsstelle wurde in Wahrheit bis heute nicht gefunden, die Anklagegutachter hätten nur mit Hypothesen und Spekulationen gearbeitet und seien im übrigen auf Kohlebergbau in Lockergestein spezialisiert und nicht auf alpinen Talkabbau unter gänzlich anderen Bedingungen. Die Einbrüche seien allen Indizien nach von der Seite her erfolgt, durch eine Verschiebung oder ein Beben im angrenzenden und bis dahin als absolut fest geltenden Gebirgsmassiv. Dafür sprächen schwarze Materialien im eingedrungenen Schlamm, die höher oben an der vom Staatsanwalt theoretisch angenommenen Einbruchsstelle gar nicht vorhanden waren. Wenn aber die Sicherheitsschwebe gar nicht die Ursache war, dann fällt auch die Anklage in sich zusammen: “Das Unglück war eine Naturkatastrophe,” so Verteidiger Werner Kirchleitner, der gemeinsam mit dem Linzer Karl Krückl den ehemaligen Berghauptmann Wedrac vertritt.
Alle fünf nach Meinung der Verteidigung obendrein völlig willkürlich ausgesuchten Beteiligten sind sich keiner Schuld bewusst hinsichtlich der vorgeworfenen Gemeingefährdung mit Todesfolge.
Einbruch nicht vorhersehbar
Der gestern als Erster einvernommene Beschuldigte Hermann Schmidt, damals selbst beim Rettungseinsatz für Georg Hainzl mit in der Tiefe, weist auch die Vorwürfe zurück, er hätte die Grube sperren und räumen lassen sollen, anstatt noch weitere Leute hinunterzuschicken: Der zweite Einbruch war ebenso wenig vorherzusehen gewesen wie der erste, verantwortet er sich, unterstützt sogar von einigen Experten einer EU-Kommission, vom Wirtschaftsministerium eingeschaltet: Ein solcher zweiter, noch schwererer Einbruch, so stellen sie fest, sei ein einmaliger Fall.
Die Verteidiger haben zahlreiche Beweisanträge gestellt – auf Einbeziehung der von ihnen eingeholten Gutachten und auf zusätzliche offizielle geologische und andere Expertisen. Richter und Staatsanwalt sträuben sich derzeit noch, aber nach der neuesten Rechtsprechung sind Privatgutachten nicht mehr einfach vom Tisch zu wischen.
Bereits sicher ist die Beischaffung sämtlicher inzwischen gewonnener Boden- und Bohrproben, dagegen konnte der Staatsanwalt nichts einwenden.
VON MARTHA HAKAMI
OÖN 12. 1. 2000
Lassing-Prozess wird ein Duell der Gutachter
LEOBEN. Mit zwei konträren Gutachten über die möglichen Ursachen des Grubenunglücks in Lassing muss sich Richter Andreas Haidacher beim Prozess ab 11. Jänner befassen.
Wie berichtet, werden sich in Leoben an vorerst 13 Verhandlungstagen fünf Angeklagte wegen wegen fahrlässiger Gemeingefährdung zu verantworten haben: Bei dem Einbruch von Schlamm-Massen in die Talkgrube waren am 17. Juli 1998 insgesamt elf Bergleute verschüttet worden, nur der 25-jährige Georg Hainzl wurde gerettet. Während das Gerichtsgutachten das Unglück mit einem “Versagen der Sicherheitsschwebe” erklärt, kritisieren drei Gegengutachter daran “unrichtige Annahmen und offene Fragen” – der Einbruch sei von einer tektonischen Störung ausgelöst worden. Der Linzer Anwalt Karl Krückl verteidigt den ehemaligen Berghauptmann Wolfgang Wedrac. (hak)
OÖN Hauptausgabe vom 30.12.1999 – Seite 019
P r e s s e m i t t e i l u n g 29.12.1999
Dipl.-Ing. Dr. H. Kolb, Univ. Prof. Dr. W. Prochaska und Dir. Dipl.-Ing. W. Steck
Gegengutachten zum Gerichtsgutachten
von Hon. Prof. Dr.-Ing. F. Hollmann und Dipl.-Ing. Dr. mont. H. Meißner über das Grubenunglück in Lassing am 17.07.1998
Curricula der Sachverständigen
Sachverständiger Kolb
Hans Kolb, geboren 20.07.1943, studierte in Leoben Bergbau, promovierte am Institut für Aufbereitung und Veredlung und beschäftigt sich seit ca. 25 Jahren mit Talk und Talkprodukten (z.B. in China, Indien, Kanada, USA, Italien, Ägypten, Slowakei). Der Sachverständige Kolb war bei der Firma Talkumwerke Naintsch GmbH. in den Jahren 1986 bis 1991 vorerst als Werksleiter für den Bergbau in Kleinfeistritz und die Mühle in Weißkirchen und später als Leiter der zentralen Abteilung Forschung und Entwicklung sowie Anwendungstechnik in Graz beschäftigt. In der Zeit vom 19.04.1988 bis zu seinem einvernehmlichen Ausscheiden am 30.06.1991 war er als Gesamtprokurist zeichnungsberechtigt.
Sachverständiger Prochaska
Walter Prochaska, geboren am 3.11.1954, studierte an der Universität Wien Geologie und promovierte zum Dr. phil. am 4. 7. 1980. Die anschließende Tätigkeit im Rahmen einer Assistentenstelle an der Montanuniversität Leoben befasste sich mit der Bearbeitung von Talklagerstätten in Österreich und im Ausland (z.B. einige Projekte in Zentralafrika).
Habilitationsthema: Die ostalpinen Talklagerstätten. Seit 1.5.1989 ist der Sachverständige Prochaska Professor für Lagerstättenkunde am Institut für Geowissenschaften der Montanuniversität Leoben.
Ausgewählte wissenschaftliche Veröffentlichungen von W. POCHASKA zu Thema Talklagerstätten:
Geologische und geochemische Untersuchungen an der Talklagerstätte Lassing.
Archiv f. Lagerstättenforschung Geol. B.-A., 10 (1989), S.99-114.
Die Talklagerstätten Österreichs und ihre Entstehung im Zuge der alpidischen Tektonik und Metamorphose.
Symposium Strukturgeologie, Kristallingeologie, Tektonik Tübingen 1986 S.28-31.
Ostalpine Talklagerstätten – Genese und Prospektion. Kurzfassung eines Referats zum Leobner Bergmannstag 1987.
BHM, 132 (1987), S.277-278.
Eine kostengünstige und effiziente Prospektionsmethode zur Aufsuchung verdeckter Talkvorkommen.
BHM ,132(1987), S.170-175.
Ostalpine Talklagerstätten – Genese und Prospektion. – Vortrag Leobner
Bergmannstag 1987.
In: Bergbau im Wandel, S.188-192, Akadem. Druck- und Verlagsanstalt Graz, Verlag Glückauf Essen, 1989.
Geochemistry and genesis of Austrian talc deposits.
Applied Geochemistry, 4(1989), S.511-525.
Zur Genese der ostalpinen Talk- und Leukophyllitlagerstätten.
BHM, 143(1998), S.215-219.
Sachverständiger Steck
Werner Steck, geboren 02.09.1931, hat nach abgeschlossener Häuerausbildung im Ruhrbergbau in Leoben Bergbau studiert. Während der Studienzeit hat der Sachverständige Steck als Drittelführer und Aufsichtsperson (Polier) im Ruhrbergbau und auf zahlreichen Stollen- und Schachtbaustellen gearbeitet. Von 1969 bis 1978 Bauleiter und Oberbauleiter bei Aufschluß- und Sanierungsarbeiten im Salinen- und Metallerzbergbau sowie auf Stollen- und Schachtbaustellen für den Kraftwerksbau. 1978 bis 1993 Oberingenieur, Prokurist und Betriebsdirektor des Österr. Schacht- und Tiefbauunternehmens. In dieser Zeit projektverantwortlich für die Bergbau- und Tunnelbauaktivitäten. 1993 bis 1996 Geschäftsführer von Baugesellschaften der Thyssen-Schachtbau in Spanien und Portugal.
Erklärung des Unfallherganges des Grubenunglücks von Lassing
Erklärung im Gerichtsgutachten
Versagen der Sicherheitsschwebe
Im Gerichtsgutachten wird eine These über “Das Versagen der sogen. Sicherheitsschwebe und die beiden Wasser- und Schlammeinbrüche am 17.07.1998 gegen 11.30 Uhr und 21.17Uhr/21.24Uhr – Verursachung – Auslösung – Vorhersehbarkeit” aufgestellt. Obwohl versucht wird, mit dieser These der mechanischen rückschreitenden Erosion, die bekannten Tatsachen aus dem aufgezeichneten Tagesablauf zu erklären, fehlen die Beweise oder zumindest Indizien, die diese These stützen.
Die von den Gutachtern errechneten Senkungen und Längenänderungen sollen eine Entfestigung des Gebirges gebracht haben. Diese Senkungen und Längenänderungen an der Tagesoberfläche, welche durch den Abbau im Südfeld aufgetreten sein sollen, sind auf Grund von Erfahrungswerten im deutschen Steinkohlebergbau errechnet worden. Keine der Bohrungen gibt einen Hinweis auf derartige Senkungen.
Die Einbruchöffnung in die Abbaukammer/Küre 23, die sich nach dem Modell des Gerichtsgutachtens unter dem tiefsten Punkte der Pinge befinden sollte, wurde trotz zahlreicher Bohrungen nicht gefunden.
Das Eindringen von schwarzem Schlamm am Beginn des ersten Einbruches wird von mehreren Personen beschrieben, und wird im Gerichtsgutachten nicht erklärt.
Die Frage, wie der Lehrhauer Hainzl in der Jausenkammer, welche tiefer als die von den Gutachtern Hollmann/Meißner behauptete Einbruchstelle liegt, den zweiten Schlammeinbruch bei Zugrundelegung ihrer Thesen überleben konnte, wird überhaupt nicht gestellt, daher auch nicht beantwortet.
Die kurze Zeit, in der das Material aus der Pinge, speziell beim zweiten Einbruch, durch die behauptete Einbruchöffnung in den Abbau und danach durch die Abbaustrecke in die Wendel mit einer fast 180° Richtungsänderung gelangt sein soll, wird nicht erklärt.
Für die Behauptung der Gutachter “Bei der Bearbeitung ergaben sich schon frühzeitig Hinweise darauf, dass die Lagerstättenschwebe über der höchsten Abbauscheibe als Sicherheitsfeste versagt” habe, wird kein Beweis angeführt.
Zusammenfassung des Modells des Gerichtsgutachtens: Ein Firstverbruch über Küre 23, Sohle 1a ist Auslöser des ersten Einbruches. Danach kommt es zu einer Pfropfenbildung und in weiterer Folge zum zweiten, massiven Einbruch. Wasser und Lockergesteine der Talfüllung dringen in das Grubengebäude.
Rekonstruktion des Unfallherganges im Privatgutachten
(Kolb, Prochaska, Steck)
Auf Grund der geologischen Situation sind die Annahmen der Gutachter Hollmann/Meißner bezüglich der Ursachen und des Herganges des Grubenunglückes in Lassing nicht richtig. Es sei hier darauf hingewiesen, dass die im Gutachten Hollmann/Meißner angeführte These auf keinen bewiesenen Befunden fußt und die wenigen zur Verfügung stehenden Beobachtungen nicht erklären kann. Die Gutachter Hollmann/Meißner haben anscheinend die ihnen zur Verfügung stehenden Ergebnisse der Bohrungen und der geophysikalischen Untersuchungen nicht oder nur in ungenügendem Ausmaß in ihr Gedankenmodell einer rückschreitenden Erosion einbezogen.
Die Gerichtsgutachter haben einige beobachtbare Fakten übersehen, die aber essentiell für die Rekonstruktion des Unfallherganges sind.
Auf Grund der vorliegenden Befunde:
Auftreten von schwarzem Schlamm bzw. schwarzem Wasser in der Abbauscheibe 1a, Küre 23. Es gibt in der ganzen Überlagerung des Quartärs keine Schicht aus schwarzem Material (ausgenommen den diesbezüglich unerheblichen Torf an der Oberfläche). Es ist daher unmöglich, dass Material aus der Überlagerung – welches durch die Lagerstättenschwebe aus weißem Talk/Dolomit (egal welcher Mächtigkeit) in den Abbau eindringt – dann als “schwarzer Dreck” aus der Decke “herausplatschen” kann;
die Tatsache einer intakten Firste über Küre 23, in der von den Gutachtern Hollmann/Meißner die angenommene Einbruchstelle sein sollte. Die Einbruchstelle wurde trotz intensiver Bohraktivität nicht gefunden;das Pingentiefste deckt sich nicht mit der im Gerichtsgutachten vermuteten Einbruchstelle (Küre 23), sondern liegt direkt über der Paltenstörung; die Tatsache, dass die Jausenkammer nicht zerstört wurde, ermöglichte das Überleben des Lehrhauers Hainzl. Nach der These im Gutachten Hollmann/Meißner hätte beim zweiten Einbruch die Jausenkammer, welche tiefer liegt als die von Hollmann/Meißner postulierte Einbruchstelle, durch den Überdruck, die große Strömungsgeschwindigkeit und die erodierenden Wirkung zerstört werden müssen; kommen die Verfasser des Privatgutachtens zu den nachstehend aufgelisteten Schlüssen.
Schlussfolgerungen
Die Einbruchstelle liegt einige Meter von einer massiven Störung entfernt, welche die Lagerstätte im Süden begrenzt. Der Einbruch erfolgte durch chemische Erosion des an der Störung anstehenden schwarzen, relativ instabilen Gesteines.
Der zu Beginn des ersten Einbruches austretende schwarze Schlamm kann nur seitlich aus der, die Lagerstätte begrenzenden Störung eingedrungen sein.
Der Einbruch erfolgte söhlig, von der Ortsbrust aus der Störung in den Abbau Küre 23 und nicht von der Firste, wie schon von WEBER erkannt, und im Gutachten Hollmann/Meißner auch als plausible Hypothese bestätigt.
Nach dem ersten, kleineren Einbruch, der durch das Hereinbrechen jener Gesteine begann, die unmittelbar an die schwarzen Störungsmylonite angrenzen, erfolgte eine Verklausung der Hohlräume auf der Abbauscheibe 1a und demzufolge ein weitgehender Stillstand der Schlammmassen.
Durch die in der Folge starke Durchfeuchtung der Bereiche unter der Abbauscheibe 1a etwa bis zu jenen Bereichen, wo Schlammsperren aufgestellt wurden, erfolgte eine Destabilisierung des Gebirges (hier besonders der Randbereiche der Störung) und darauf ein Durchbruch der darüber liegenden quartären Talfüllung auf eine tiefere Sohle bzw. in die Wendel.
Der zweite Schlammeinbruch erfolgte aus dem aufgelockerten, durchnässten Störungs-bereich, etwa ab Sohle 3, in die Wendel, was auch erklärt, dass der Lehrhauer Hainzl in der Jausenkammer überleben konnte. Der Schlamm ist in diesem Falle nämlich an einem tieferen Punkt als im Gerichtsgutachten angenommen eingedrungen.
Auf Grund der oben ausgeführten Beobachtungen ist das Grubenunglück als nicht vorhersehbar zu werten.
P r e s s e m i t t e i l u n g
Grubenunglück Lassing
Die Verteidiger des Herrn Berghauptmannes i.R. DI Mag. Dr. Wolfgang Wedrac, Rechtsanwalt Dr. Karl Krückl, Linz, und Rechtsanwalt Dr. Werner Kirchleitner, Neumarkt/Stmk., teilen im Auftrag ihres gemeinsamen Mandanten mit:
In Vorbereitung der Hauptverhandlung vom 11. Jänner 2000 vor dem Landesgericht Leoben wurden die Herren DI Dr. Hans Kolb, allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, Univ.-Prof. Dr. Walter Prochaska (Habilitationsthema: Die Ostalpinen Talklagerstätten) und DI Werner Steck mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens zur Unglücksursache beauftragt.
Dabei kommen die Sachverständigen “bei genauer Kenntnis der lokalen Geologie” zum Ergebnis, dass das Versagen einer zu gering dimensionierten Sicherheitsschwebe nicht die Ursache für das Unglück ist, sondern eine chemische Erosion (Gesteinslösung) des seitlich an der sogenannten Paltenstörung anstehenden Haselgebirges, wobei diese chemische Erosion nicht vorhersehbar ist. Der Einbruch erfolgte söhlig in den Abbau Küre 23 und nicht, wie bisher angenommen, von der Firste.
Die Sachverständigen begründen die Einbruchsursache “durch chemische Erosion des an der Paltenstörung anstehenden Haselgebirges” unter anderem mit jenem schwarzen Schlamm, von dessen Auftreten unmittelbar vor dem Unglück berichtet wird. Dieser schwarze Schlamm kann nur aus dem seitlich anliegenden Haselgebirge bzw. aus dem schwarzen Störungsmylonit stammen.
Die Tatsache, dass die angebliche Einbruchsstelle im Bereich der Sicherheitsschwebe selbst mit großen Bohraufwand nicht gefunden wurde, erhärtet die These. Auch das Überleben des Lehrhauers Georg Hainzl in der Jausenkammer, welche tiefer als die von den Gerichtsgutachtern behauptete Einbruchsstelle der Sicherheitsschwebe liegt, wäre nicht erklärbar, hätte es tatsächlich ein Versagen der Sicherheitsschwebe gegeben.
Die Verteidigungslinie von Herrn Berghauptmannes i.R. DI Mag. Dr. Wolfgang Wedrac wird auf diesen Ergebnissen basieren.
Linz, am 20. 12. 1999